Was ist los beim #Urheberrecht?

07.04.2021

Mit der DSM-Richtlinie ("Digital Single Market") wollte die Europäische Union Uploadplattformen wie YouTube, TikTok & Facebook in die Haftung für die von ihnen wiedergegebenen Inhalte nehmen, Rechteinhaber versprachen sich davon vor allem Verhandlungen auf Augenhöhe, eine bessere Vergütung der Nutzungen und damit das Ende des "Value Gaps". Die Bundesregierung legte am 3. Februar den "Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes" vor, der im SPD-geführten Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) erarbeitet wurde. Das darin enthaltene Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) will einen deutschen Sonderweg schaffen, der Rechteinhaber in grundlegenden Aspekten nicht besserstellen und Lizenzverträge auf Augenhöhe weitgehend vermeiden will. Aktuell wird der Gesetzentwurf im federführenden Rechtsausschuss verhandelt, die finale Abstimmung im Bundestag ist für Mai geplant. Bis zum 7. Juni sollte die DSM-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden.

Im Folgenden stellen wir die größten Kritikpunkte am Gesetzentwurf aus Sicht unabhängiger Musikunternehmer*innen vor.


Verwertungsgesellschaften-Pflicht

Es kann Jahre dauern, bis (vielleicht) wieder Geld von YouTube etc. bei dir ankommt

Ein massives Problem liegt in der neu geschaffenen Regelung, der zufolge künftig Vergütungen der Uploadplattformen nur noch über Verwertungsgesellschaften ausgezahlt werden können. Diese Regelung betrifft auch alle verwandten Schutzrechte (Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler*innen), sofern die Rechte einem Dritten (beispielweise einem Label oder Digitalvertrieb) eingeräumt wurden. Künftig erfolgt die Abrechnung nicht mehr werk- und nutzungsbezogen über im Wettbewerb stehende Vertriebe, sondern ausschließlich über die GVL und GEMA. Dafür sind umfangreiche Neustrukturierungen notwendig – Ausgang ungewiss.

⇒ Weitere Information, Hintergründe sowie konkrete Lösungs- und Formulierungsvorschläge unter diesem Link.

 

Bagatellgrenzen

Jede*r kann <15 Sekunden deines Songs verwenden. Du kannst Beschwerde dagegen einlegen und warten

Wie schon in den ersten Entwürfen soll systematisch ein möglichst großer Anteil der Uploads ohne vertragliche Lizenz nutzbar und nicht oder nur erschwert blockierbar sein. Dafür sieht der Gesetzentwurf unter anderem Bagatell-Nutzungen (geringfügige Nutzung) vor – die keine Grundlage in der DSM-Richtlinie haben. Die „geringfügige Nutzung“ einer Tonspur bis zu 15 Sekunden gilt daher erstmal als „mutmaßlich erlaubt“. Die Folge ist, dass die Plattform diesen Inhalt nicht sperren darf und bis zum Abschluss eines auf Antrag (vom betroffenen Rechteinhaber) durchgeführten Beschwerdeverfahrens nicht verantwortlich ist. Diese Ausschnitte von Musikstücken sollen gegen eine (geringe) kollektivierte Pauschalvergütung von jedem*jeder nicht-kommerziellen Uploader*in erlaubnis- und haftungsfrei öffentlich verwendet werden können.

Pastiche-Orakel

Remix, Mashup, Sampling mit deinem Werk ist künftig "gesetzlich erlaubt"

Die DSM-Richtlinie sieht neben Zitaten, Parodien und Karikaturen eine neue gesetzlich erlaubte Nutzung vor: das Pastiche. Es gibt keine allgemeingültige Definition, oft wird es mit einer Imitation oder Hommage gleichgesetzt. Der Gesetzentwurf weitet den Begriff jedoch auf Sampling, Remix, Mashup, Fan Art usw. aus. Künftig hat damit jede*r Uploader*in die Möglichkeit, die Nutzung eurer Werke als "Pastiche" – das heißt als gesetzlich erlaubt – zu markieren ("Flagging") und damit bleibt der Upload ggf. bis zum Ende eines Beschwerdeverfahren online.

⇒ Weitere Information und Hintergründe unter diesem Link.

 

 

Beschwerdeverfahren / Red Button

Zurück auf Start mit Notice & Takedown

Während die Uploader*innen mit dem sogenannten "Flagging" eine Art "grünen Knopf" haben, soll den Rechteinhabern ein "roter Knopf" zur Verfügung stehen. Mit diesem können Inhalte sofort gesperrt werden, allerdings nur, wenn im Fall der Veröffentlichung ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil glaubhaft gemacht wird. Erfolgte die Sperrung zu Unrecht, haftet der Rechteinhaber gegenüber Uploadplattform und Uploader*in auf Schadensersatz. Ansonsten bleibt den Rechteinhabern nur, ein Beschwerdeverfahren einzuleiten, dass binnen einer Woche entschieden werden muss. Geschah die Veröffentlichung zu Unrecht, erhält der Rechteinhaber eine Entschädigung und der/die Uploader*in kann ggf. für eine kurze Zeit gesperrt werden.

Weitere Kritikpunkte

Ausnahme kleiner Uploadplattformen

Laut Gesetzentwurf betreffen alle Regelungen mittelfristig insgesamt dreizehn Plattformen (S. 67). Sogenannte "kleine Diensteanbieter" (mit einem jährlichen Umsatz innerhalb der EU unter 1 Mio. Euro) sind lediglich zu Notice & Takedown verpflichtet. Diese Ausnahme ist allerdings durch die DSM-Richtlinie nur für Startup-Plattformen (mit monatlich weniger als 5 Mio. Besucher*innen), vorgeschrieben. Eine Erstreckung der Ausnahme auf die "kleinen Diensteanbieter" sieht die DSM-Richtlinie gar nicht vor.

allgemeine Pastiche-Schranke

Mit einem Einschub in das bestehende Urheberrechtsgesetz (UrhRG) wird die Pastiche-Schranke nicht nur für die Regulierung der Uploadplattformen im UrhDaG eingeführt. Laut der Neufassung des §51a UrhRG ist damit die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines Werkes zum Zwecke des Pastiches gerechtfertigt. Anders als das UrhDaG für Uploadplattformen sieht das allgemeine UrhRG jedoch keine Vergütung/Entschädigung des Rechteinhabers für die Nutzung vor.


Gegen einige dieser Kritikpunkte hatten sich bereits im November 2020 insgesamt 657 Musiker*innen und Bands – quer durch alle Genres und Bekanntheitsgrade – bei den Politiker*innen zu Wort gemeldet. Ihr Appell "Spielt das Urheberrecht nicht gegen uns aus!" verhallte weitgehend ungehört.

Den Verfasser*innen des Gesetzentwurfes selbst scheinen die Mängel zumindest ansatzweise bewusst zu sein. In der Abschätzung sogenannter "weiterer Kosten" heißt es: "Daneben könnten auch der Kreativwirtschaft weitere Kosten durch entgangene Lizenzeinnahmen entstehen." (S. 5) Wortgewaltige Kritik erhob der Deutsche Bundesrat (die Vertretungen der Landesregierungen) in seiner Stellungnahme: "Der Bundesrat erinnert daran, dass das Urheberrecht für Kultur- und Kreativschaffende sehr oft die wirtschaftliche Basis ist und die Refinanzierbarkeit von Inhalten eine der wesentlichen Grundlagen für Medienvielfalt ist. Er bittet daher, im weiteren Gesetzgebungsverfahren umfassend zu prüfen, ob durch den Gesetzentwurf insgesamt bestehende Erlös- und Geschäftsmodelle von Urhebern und anderen Rechteinhabern in allen betroffenen Branchen (insbesondere Musik, Film, Audiovisueller Bereich, Hörfunk, Buch und Presse) unverhältnismäßig beeinträchtigt werden." (S. 1)

Insbesondere die Problematik der ausschließlichen Abrechnung über Verwertungsgesellschaften ist den Entscheidungsträger*innen im Bundesjustizministerium, im Bundeswirtschaftsministerium, bei der Beauftragten für Kultur und Medien sowie im Bundesfinanzministerium und den Fachpolitiker*innen in den Regierungsfraktionen bekannt. Der VUT hat hierzu Ende 2020/Anfang 2021 eine Vielzahl an aufklärenden Gesprächen über die derzeitige Praxis der länderübergreifenden Lizenzierung/Vertragsgestaltung geführt. Es wurde oft Verständnis geäußert, jedoch keine inhaltlichen Wegweiser benannt, wie man dieses neu befeuerte Verteilungsproblem aktiv lösen will.

Inmitten der andauernden Corona-Krise und der ohnehin für viele Musiker*innen und Musikunternehmer*innen angespannten Situation, ist diese (Nicht-)Handlung unverständlich. Anstatt den europäischen Ausgleichsgedanken der DSM-Richtlinie in Form von flächendeckenden Lizenzierungen umzusetzen, haben sich die politisch Verantwortlichen von der Angst vor den Hashtags #niewiederSPD, #niewiederCDU im Wahljahr 2021 treiben lassen. Sie kämpfen daher nolens volens für diejenigen, die in den Sozialen Medien den Hort der Meinungsfreiheit schlechthin sehen und sie spielen damit am Ende Konzernen wie Google und Facebook in die Hände.

Weiterführende Informationen