Kurzkommentar des VUT zum Gutachten zur Urheberrechtsrichtlinie (DSM-RL)

06.02.2020

Europarechtliche Vereinbarkeit (Artikel 17), Vorschläge zur nationalen Umsetzung und zur Stärkung der Urheberinnen und Urheber vom 14. Dezember 2019, veröffentlicht am 31. Januar 2020

Der VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e. V., begrüßt, dass sich die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Beauftragung von Prof. Dr. Gerald Spindler aktiv in die Diskussion um die Umsetzung der DSM-RL einbringt. Die Stellungnahme kommentiert wesentliche Ergebnisse des vorliegenden Gutachtens.

Die überwiegenden Untersuchungsergebnisse des Gutachtens hält der VUT für nachvollziehbar und gut begründet. Wenig überzeugend finden wir, dass die Pflicht zur Lizenzeinholung nach Meinung des Gutachters zu einer allgemeinen proaktiven Kontrolle aller Inhalte auf einer Plattform führen soll (S.13f.).

Zunächst sei erwähnt, dass die Konsequenz einer allgemeinen Überwachung wie von Spindler im Gutachten vertreten nach unserer Wahrnehmung eine Einzelmeinung darstellt. Es sind uns keine Fachartikel zu dem vieldiskutierten Thema bekannt, in denen eine ähnliche Meinung vertreten wird. In einem wie selten ausdifferenzierten Gesetzgebungsprozess ist Art. 17 DSM-RL u. a. von den Rechtsdiensten des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission ebenso ausführlich geprüft worden wie von zahlreichen Stakeholdern. Der VUT ist der Meinung, aus guten Gründen ist eine proaktive Kontrolle aller Inhalte durch von Art. 17 DSM-RL betroffene Dienste nicht zwingend.

Erstens reicht einem von Art. 17 DSM-RL betroffenen Provider das pauschale Wissen z. B. zum bloßen Vorhandensein von Musik auf seiner Plattform, um daraus den zwingenden Schluss ziehen zu müssen, mit den großen, bekannten Rechteinhabern (z. B. Universal, Sony, Warner, Merlin, Verwertungsgesellschaften) in Verhandlungen treten zu müssen – Stichwort GEMA-Vermutung. Folglich setzt das Bemühen um Lizenzverträge schon denknotwendig keine allgemeine Prüfung aller Inhalte voraus, insbesondere bei von Verwertungsgesellschaften verwalteten Rechten, die in ihrem Territorium wie die GEMA praktisch das Weltrepertoire vertreten.

Zweitens folgt aus der ersten Feststellung, dass entgegen der von Spindler vertretenen Ansicht die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Art. 17 Abs. 5 DSM-RL zur Frage der Kontrolle aller übrigen und nicht proaktiv lizenzierten Inhalte anwendbar ist und deshalb für den überwiegenden Teil dieser Inhalte die Haftung frühestens ab dem Zeitpunkt eines konkreten, hinreichenden Hinweises durch die Rechteinhaber*innen eintritt. Im Ergebnis wird so der haftungsrelevante Teil der unbekannten Inhalte quasi von der anderen Seite her abgeschmolzen. Von einer Verpflichtung einer allgemeinen Überwachung kann somit keine Rede mehr sein.

Drittens macht es sich Spindler zu leicht, wenn er "zur Vereinfachung" statt des Begriffs "Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten" nur den Terminus "Hostprovider" verwendet (siehe Fußnote 12 des Gutachtens von Spindler). Die von Art. 17 DSM-RL betroffenen Dienste sind keine Hostprovider (Art. 14 E-Commerce-RL) sondern nach Art 2 Abs. 6 DSM-RL "Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten", auf die Art 14 E-Commerce RL keine Anwendung findet. Dies stellt auch Erwägungsgrund 65 der DSM-RL klar. Möglicherweise übersieht Spindler aus diesem Grund, dass ein Abwägungsergebnis der betroffenen Grundrechte des EuGH in der Sache Netlog vs. Sabam (siehe EuGH, GRUR 2012, 382 – Netlog vs. SABAM – Netlog wäre nach DSL-RL anders als zum damaligen Zeitpunkt verpflichtet die Rechte bei der SABAM zu lizenzieren) gerade nicht 1:1 auf die Rechtslage der DSM-RL übertragbar sein kann. Gleichwohl stellt Art. 17 Abs. 8 DSM-RL klar, dass die Anwendung des Art. 17 DSM-RL nicht zu einer allgemeinen Überwachungspflicht führen darf, was wie gezeigt durch das Zusammenspiel von Art. 17 Abs. 4 und 5 DSM-RL ausgeschlossen ist.

Entscheidend ist aus unserer Sicht zuletzt: Die nationalen Gesetzgeber sind in der Verantwortung, die Richtlinie umzusetzen. Die Niederlande und Frankreich haben bereits Gesetzesentwürfe vorgelegt, die den Wortlaut von Art. 17 DSM-RL übernehmen. Vielleicht hat der EuGH zu Art. 17 das letzte Wort. Auch vor diesem Hintergrund müssen Gesetzgeber und Stakeholder den von Art. 17 DSM-RL geforderten Interessenausgleich zum bestmöglichen Nutzen aller Betroffenen in Gesetze und praxistaugliche Prozesse umsetzen. Das Gutachten sollte dabei weder als Sand im Getriebe des Gesetzgebers noch der betroffenen Stakeholder landen.

Die meisten übrigen Ergebnisse der Untersuchung halten wir für gut begründet und nachvollziehbar: etwa die Feststellung des vollharmonisierenden Charakters von Art. 17 und damit die Pflicht der Gesetzgeber sich mit Konkretisierungen oder Verschärfungen zurückzuhalten (S.38) oder die Feststellung, dass keine Schranken wegen Bagatellgrenzen oder "user generated content" eingeführt werden können (S. 60). Auf die Gefahr einer Überbewertung (S. 52) der Kollektivlizenzen, auch ECL genannt, hat der VUT bereits in seiner Stellungnahme zur DSM-RL vom 6. September ausdrücklich hingewiesen.

Zur Ermittlung "branchenüblicher Standards" schlägt das Gutachten Gremien oder Verfahren vor, in denen "gesellschaftlich relevante Gruppen" beteiligt sind. Die Berücksichtigung jahrzehntelanger Erfahrung aus der internationalen Praxis begrüßt der VUT außerordentlich und stellt hierfür gern seine Erfahrungswerte zur Verfügung.

Weiterführende Informationen: