Stellungnahme des VUT zum offenen Brief der Deutschen Orchestervereinigung vom 22. März 2021

31.03.2021

Wohl wissend, dass eine weitere Aufheizung unserer Nischendebatte zu einer Regelung des geplanten Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes (UhrDaG) allen Beteiligten wenig nützt, wollen wir den offenen Brief "Musiker:innenverbände fordern angemessene Vergütungen für Onlinenutzungen" der letzten Woche nicht unkommentiert lassen.

Am 22. März 2021 unterzeichneten die Deutsche Orchestervereinigung (Gerald Mertens), die ver.di Fachgruppe Musik (Valentin Döring), Pro Musik (Axel Müller), die Deutsche Jazzunion (Urs Johnen), die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (Tobias Könemann), die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Jörg Löwer) und der Deutsche Tonkünstlerverband (Cornelius Hauptmann) einen offenen Brief an "ausgewählte Mitglieder des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung", der vom Composers Club, der Defkom, dem Deutschen Komponistenverband und mediamusic unterstützt wurde. 

  • "Aktuell gibt es erhebliche Versuche der Verwerter, den in Art. 4 Abs. 3 UrhDaG vorgesehenen Direktvergütungsanspruch (DVA) gegenüber Diensteanbietern zu beschränken oder generell in Frage zu stellen." / "Wir verwahren uns gegen eine Vereinnahmung durch die Verwerterverbände. Wir sind als Musiker:innenverbände selber in der Lage, für uns und unsere Mitglieder zu sprechen." / "Alle Argumente gegen den Direktvergütungsanspruch der ausübenden Künstler:innen sind die typischen Argumente der Verwerter, die befürchten, dass ihnen weniger Erlöse aus der Online-Verwertung verbleiben." [Hervorh. d. Verf.]

In vermutlich deeskalierender Absicht benennen die Unterzeichner keine konkreten Organisationen. Es ist aber anzunehmen, dass es diejenigen sind, die von der Initiative Urheberecht im Zusammenhang mit einem Verweis auf den offenen Brief benannt werden:

  • "Momentan gibt es erhebliche Versuche der Verwerter, vor allem vom Bundesverband Musikindustrie und vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen" (Quelle)

Vermutlich meinen die Unterzeichner des Briefes also unter anderem den VUT. Über ihre holzschnittartige Unterscheidung zwischen "Verwertern" und "Künstler*innen" können wir nur den Kopf schütteln. Denn wir vertreten nicht nur Tonträgerhersteller und Musikverlage, sondern inzwischen eine große und schnell wachsende Zahl sogenannter selbstvermarktende Musiker*innen im Independent-Bereich. Hinzu kommt: Die Grenzen sind in der Praxis unseres Bereichs der Musikwirtschaft oft fließend. Sollte der offene Brief die VUT-Kritik an der Ausgestaltung des Direktvergütungsanspruches meinen, dann ignoriert er (willentlich?) die hier vertretenen Interessen von Musiker*innen. Oder schlimmer: Er spricht diesen Musiker*innen die Erhebung ihrer Stimme und die Vertretung durch ihren Verband grundsätzlich ab. Eine solche Abqualifizierung der VUT-Stellungnahmen auf bloßes "Verwerterinteresse" erinnert an die Versuche der Richtliniengegner*innen, aus gemeinsamer Haltung der Rechteinhaber eine vermeintliche Geiselnahme der Urheber*innen und Künstler*innen durch ihre Verwertungspartner abzuleiten. 

Interessanterweise fand der bislang größte Aufschrei der Musiker*innen bei den Unterzeichnern des Briefes seinerzeit keine nennenswerte Berücksichtigung. Im November 2020 wandten sich 657 sehr und weniger bekannte Musiker*innen und Bands quer durch alle Genres in ihrem Appell "Spielt das Urheberrecht nicht gegen uns aus!" an die Politik. Sie beklagten, dass in den Plänen des Bundesjustizministeriums ihre Rechte beispielsweise durch die Einführung einer überweiten Pastiche-Schranke oder von Bagatellgrenzen über Gebühr gefährdet waren. In dieser Auseinandersetzung wurden die genannten Musiker*innenverbände und ihre Stimme für die Interessen der Musiker*innen schmerzlich vermisst.

  • "Nutzungsvergütungen für die Rechte auch der ausübenden Musiker:innen wurden bisher im absoluten Großteil der Fälle entweder von den Lizenznehmern [Uploadplattformen] gar nicht erst gezahlt oder von den Lizenzgebern [Digitalvertriebe, Label etc.] nicht weitergegeben." [Hervorh. d. Verf.]

Was die Unterzeichner des offenen Briefes hier schreiben ist nichts weniger als die Behauptung, Vertriebspartner*innen würden ihre Musiker*innen nicht bezahlen bzw. sie nicht an Einnahmen beteiligen. Diese pauschale Behauptung ist nicht nur unwahr, sondern kann als verleumdend interpretiert werden und ist in Folge geschäftsschädigend. Wir vermuten allerdings, der Einblick der Unterzeichner sowie auch des deutschen Gesetzgebers in die Funktionsweisen des Digitalmarktes für Musik ist nicht zureichend:

► Digitalvertriebe/Label übertragen die ihnen übertragenen Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller und ausübenden Musiker*innen an Uploadplattformen, liefern Originalaufnahmen (Masterdaten) sowie zur werk- und nutzungsbasierten Abrechnung notwendige Metadaten. Um Inhalte auf Uploadplattformen zu monetarisieren, ist die laufende und intensive Pflege und das aktive Verwalten dieser Daten sowie die Streitbeilegung von Rechtekonflikten erforderlich. Diese unverzichtbaren, aufwändigen und arbeitsintensiven Leistungen erbringen überwiegend Digitalvertriebe, die an den Erlösen prozentuell beteiligt sind. Im Gegenzug erhalten sie monatlich nutzungsbasierte Abrechnungen und Vergütungen, die sie selbstverständlich an alle Kund*innen werk- und nutzungsbezogen (!) abrechnen. Wer in die VUT-Muster-Künstler*innen- und Bandübernahmeverträge sieht, stellt fest: Die prozentuale Beteiligung aller Musiker*innen an sämtlichen Verwertungen ist nicht nur für "Stars" selbstverständlich. Ob ein*e Musiker*in sich direkt an einen der im Wettbewerb stehenden Digitalvertriebe wendet oder eine Geschäftsbeziehung zu einem der unabhängigen Label eingeht, obliegt ihrer*seiner freien Entscheidung und Verhandlung. Um eine faire Beteiligung der Musiker*innen an den Erlösen festzuschreiben, haben die Independents bereits 2014 die von WIN (Worldwide Independent Network) initiierte "Fair Digital Deals Declaration" unterzeichnet.  Mit der Unterzeichnung verpflichten sich unabhängige Musikunternehmen, ihren Künstler*innen faire Verträge sowie eine gerechte Bezahlung für die Verwertung von digitalen Musikwerken zu bieten.

Zudem haben Musiker*innen gegenüber ihren Partnern Buchprüfungsrechte und einen gesetzlichen Anspruch auf Anpassung ihres Vertrages, sollte die Vergütung unangemessen niedrig sein. Die Auskunftsrechte werden mit dem Gesetzentwurf weiter gestärkt, damit Musiker*innen die Angemessenheit ihrer Vergütung – auch im Falle von Pauschalvergütungen – laufend prüfen und dort wo sie eine höhere Beteiligung für gerechtfertigt halten, diese auch durchsetzen können. Ein flankierender Direktvergütungsanspruch für Nutzungen auf Uploadplattformen wird keinem*keiner Musiker*in zu einer insgesamt angemesseneren Vergütung für seine*ihre Leistungen verhelfen, denn diese muss auch in Zukunft wie bisher im Ernstfall auf Vertragsebene erkämpft werden, nur so können sie für alle Nutzungen die Angemessenheit der Vergütung überprüfen. Es mag sein, dass Musiker*innen oder Auftragsproduzent*innen diese Auseinandersetzung scheuen, sollten sie sich von einzelnen Auftraggeber*innen abhängig fühlen. Allerdings lernen die meisten Musiker*innen im Laufe einer Karriere eine Vielzahl von Orchestern, Musikunternehmen, Ensembles, Produzent*innen usw. kennen. Allein im VUT sind ca. 1.200 Musikunternehmer*innen – d.h. potentielle Auftraggeber*innen – organisiert.

► Für unsere Mitglieder sind Verwertungsgesellschaften grundsätzlich unverzichtbare Institutionen: Gerade wenn es darum geht, die Wiedergabe von Musik beispielsweise in Bars und Fitnessstudios oder die Erlöse aus der Privatkopie abzurechnen und zu verteilen. Aus dem Ansatz heraus, unsere Verwertungsgesellschaften von innen heraus besser machen zu wollen, ist der VUT Minderheitsgesellschafter der GVL geworden. Nicht nur aufgrund der notwendigen Vertriebspraxis, sondern auch aus dieser Binnenperspektive haben wir Zweifel, ob eine Verwertungsgesellschaft wie die GVL die öffentliche Wiedergabe auf Uploadplattformen in auch nur annährend vergleichbaren Umfang und vor allem in vergleichbarer Qualität nutzungs- und werkbezogen administrieren, monetarisieren und abrechnen kann – und von dieser Frage hängen nicht nur die Erlöse von "Verwertern" ab, sondern unmittelbar die der Musiker*innen. 

Wir haben an anderer Stelle ausführlich argumentiert, warum die GVL eine Aufgabe in diesem Umfang aus unserer Sicht nicht hinreichend erfüllen kann – und vor allem, warum sie für Musiker*innen wie für ihre Partner keine bessere Alternative zur bestehenden Lizenzierung über Digitalvertriebe ist. Das gilt auch für Musiker*innen, die für ihren Beitrag an Aufnahmen von Produzent*innen/Auftraggeber*innen pauschal vergütet werden (z. B. Session-, Studio- oder Begleitmusiker*innen, deren Auftraggeber*innen in diesen Fällen meist selbst Musiker*innen sind). Für eine nutzungsbasierten Abrechnung auf Uploadplattformen fehlen mindestens für das bisherige Repertoire die Stammdaten eben dieser Musiker*innen.  An wen und auf welcher Grundlage würde eine Verwertungsgesellschaft abrechnen? Wer erhebt die Daten? Es bräuchte eine neue Schnittstelle zwischen pauschal vergüteten Künstler*innen, den Verwertungsgesellschaften und den Plattformen.

Wir befürchten, dass die Unterzeichner des Briefes Versprechen machen, die für viele der Musiker*innen – insbesondere diejenigen, die von den bisherigen Verteilungsplänen und Machtverhältnissen in den Verwertungsgesellschaft nicht bevorteilt werden – nicht gehalten werden können, weil sie auf Jahre anstelle einer höheren plötzlich gar keine werk- und nutzungsbezogene Abrechnung erhalten. Wir hoffen sehr, dass wir in dieser Einschätzung Unrecht haben werden!